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Interview Christof Gemeiner: „Wir können jetzt dichter bauen.“

24. Februar 2019

Zum 1. Januar 2019 ist die neue BauO NRW 2018 in Kraft getreten. Zu diesem Thema wurde der Architekt Christof Gemeiner von Fred Lothar Melchior für die Rheinischen Post befragt.

Wie umfangreich sind die Änderungen in der Landesbauordnung? Und wie überraschend kamen sie? Die Wuppertaler Bauaufsicht hat beispielsweise gleich vier Wochen lang die Erreichbarkeit per E-Mail beschränkt, um sich mit der neuen Lage vertraut zu machen.

Gemeiner: Die Überarbeitung wurde schon in der alten rot-grünen Landesregierung diskutiert. Bauministerin Ina Scharrenbach hat es dann geschafft, die neue Landesbauordnung innerhalb eines Jahres durchzuziehen. Es ist eine sehr umfassende Änderung geworden. Das wichtigste Merkmal ist, dass wir dichter bauen können.

Fred Lothar Melchior
Fred Lothar Melchior
BDA Architekt Christof Gemeiner, seit 2011 Sprecher des BDA Bergisch-Land, Mitglied im Landesvorstand des BDA NRW.

Was bedeutet das am konkreten Beispiel der Grenzabstände?

Gemeiner: Bei zweigeschossigen Gebäuden in Wohngebieten waren bisher beispielsweise Grenzabstände zwischen drei und 4,80 Meter vorgeschrieben. Seit Jahresanfang reichen für zweigeschossige Gebäude immer drei Meter. Die Grundstücke können also besser ausgenutzt werden.

Gilt das auch fürs Ausbreiten nach oben?

Gemeiner: Einige Gebäude werden künftig zumindest höher wirken: Ein Staffelgeschoss musste bisher nach allen Seiten zurückspringen. Jetzt nicht mehr, wie in Hilden schon bei der St.-Jacobus-Bebauung zu sehen ist. Ich denke, dass deshalb mehr Flachdächer gebaut werden. Bislang war das Flachdach gegenüber dem Satteldach immer etwas benachteiligt.

Wird es dann nicht arg eng in der Stadt?

Gemeiner: Sie kommen um eine dichtere Bebauung nicht herum. 1910 wohnten gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung in Städten. 1990 waren es schon 73 Prozent, bis 2050 sollen es 85 Prozent sein. Hilden ist bereits heute eine der dichtesten Städte in Nordrhein-Westfalen. Das hat auch Vorteile: Eigentlich kann man alles mit dem Fahrrad erledigen.

Nun nimmt nicht nur die Stadtbevölkerung zu, auch das Lebensalter der Bürger wächst. Was sagt die neue Landesbauordnung dazu?

Gemeiner: Bis 2050 wird jede dritte Person in der Stadt älter als 65 Jahre sein; es wird fast zehn Millionen Deutsche über 80 Jahren geben. Die Barrierefreiheit ist deshalb ein weiteres wichtiges Thema der Bauordnung. Ab drei Wohnungen müssen Häuser barrierefrei gebaut werden. Die Vorschrift gilt auch für öffentliche Gebäude. Barrierefrei heißt aber nicht automatisch rollstuhlgerecht. Allerdings müssen Abstellflächen für Rollatoren und Rollstühle vorgesehen werden.

Die Architektenkammer und einzelne Berufsverbände waren eingebunden, als es um die Neuordnung ging. Sie selbst sind als Mitglied des BDA in der Vertreterversammlung der Architektenkammer. Wie werden die Änderungen dort kommentiert?

Gemeiner: Wir diskutieren über die einzelnen Paragraphen. Persönlich halte ich die Möglichkeit der Nachverdichtung und die Barrierefreiheit für die wichtigsten Paragraphen.

Mancher „kleine“ Bauherr wird sich eher über andere Veränderungen freuen.

Gemeiner: Die Bauaufsichtsämter werden durch die neue Bauordnung vom Kleinkram entlastet. Der Katalog der genehmigungsfreien Vorhaben wurde erweitert. So sind Garagen und Terrassenüberdachungen bis 30 Quadratmeter nicht mehr genehmigungspflichtig. Aber Vorsicht: Im Einzelfall mag es trotzdem zu einer Prüfung kommen. Interessant ist sicher auch, dass Grundstückseinfriedungen entlang öffentlicher Verkehrsflächen jetzt zwei Meter hoch sein dürfen. Früher war nur ein Meter genehmigungsfrei.

Wird durch die Neuerungen mein Bauantrag künftig flotter bearbeitet?

Gemeiner: Die Bearbeitungszeiten werden sich nicht wesentlich verändern. Die Bauordnung birgt auch Konfliktpotenzial. Es muss alles sehr rechtssicher sein; die Leute klagen gerne einmal. Ein fehlerhafter Bauantrag wird heute eher zurückgeschickt als früher.

Ihr Architekturbüro hat seinen Sitz in Hilden, Sie sprechen aber für die drei bergischen Großstädte. Wo arbeitet die Bauaufsicht besonders schnell?

Gemeiner: Hilden gilt als schnelle Stadt. Ein Bauantrag für ein Einfamilienhaus wird in rund zwei bis drei Monaten beschieden. Wir bewegen uns alle auf einem professionellen Niveau.

In Deutschland wird gerne Stein auf Stein gebaut. Die neue Bauordnung erlaubt nun auch höhere Holzhäuser.

Gemeiner: Sie sieht Gebäude bis 13 Meter Höhe vor. Holz ist als nachwachsender Baustoff extrem wichtig, und Holzhäuser finden immer mehr Anhänger. Die Baukosten sind ähnlich; durch das Material sind aber – bei gleichem Dämmwert – dünnere Wände möglich. Das bedeutet mehr Fläche. Und gerade im Bergischen Land sieht man, wie gut Holzhäuser altern. Sie können mehrere hundert Jahre alt werden.

Welche Brachen reizen einen Architekten momentan besonders? 

Gemeiner: In Hilden sind das Bahnhofsviertel und das alte Postareal ein spannendes Thema. 2019 wird es hier einen städtebaulichen Wettbewerb geben. In Solingen dreht sich „Europan 15“, ein Wettbewerb für Architekten unter 40 Jahren, um das Grossmann-Gelände.

Wie wichtig ist die Kompetenz der Architekten bei der Stadtgestaltung? 

Gemeiner: Wenn wir alle näher zusammenrücken, brauchen wir eine höhere Aufenthaltsqualität, auch mit Grünflächen, damit sich ein Heimatgefühl entwickelt. Deswegen gibt es in Hilden einen Gestaltungsbeirat, dessen erste Sitzung im März stattfindet. In Wuppertal, wo ich selbst Mitglied bin, und in Solingen sind Gestaltungsbeiräte politisch beschlossen. Die Mitglieder sind unabhängig, betreuen also nicht selbst Projekte in der Stadt.

Sie haben erwähnt, wie bequem man in Hilden mit dem Fahrrad vorankommt. Das sieht einige Kilometer weiter östlich ganz anders aus. 

Gemeiner: Langfristig werden 30 Prozent der Fahrräder einen elektrischen Antrieb haben. Wir werden einen Verkehrsteilnehmer erleben, den es heute noch nicht gibt. Die entsprechenden Verkehrsflächen für Radfahrer und Fußgänger zu schaffen, wird gerade für die bergischen Großstädte und den Kreis eine große Herausforderung werden. Aber es macht Sinn: Man spricht davon, dass die Schäden durch den Autoverkehr höher sind, als es die Kriegsschäden waren.

Das Interview in voller Länge lesen Sie hier http://goo.gl/zKAhFZ